Neu-Helgoland

Neu-Helgoland: Seit weit über hundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel an der Müggelspree
Autor:
Karoline Kalkweit

Wenn Dagmar Tabbert an die Jahreswende 2001/2002 zurückdenkt, stockt ihr der Atem. Lebhaft sind die Erinnerungen an jene Stunden. Grausam, war es. Gespenstisch. „Es war das Schlimmste, das ich bisher in meinem Leben gesehen habe.“

In der schicksalshaften Nacht – vom 1. auf den 2. Januar 2002 – brannte ihr Restaurant, das „Neu-Helgoland“, vollständig bis auf die Grundmauern nieder. ? „Abends um halb, dreiviertel Zehn klingelte bei mir das Telefon. Wir sind sofort rausgefahren und dann sah ich schon die Bescherung.“ Brandstiftung. Nichts blieb – bis auf die Fragen: Wer? Warum? Und wieso? Die Täter sind bis heute nicht ermittelt.

 

Für Tabbert, die praktisch ihr gesamtes Leben in dem Haus verbracht hatte, war der Brand ein herber Schlag. Die Flammen verschlangen nicht nur das Restaurant, sondern mit ihm zahlreiche Erinnerungsstücke. Im Morgengrauen, so sagt Tabbert heute, stand sie praktisch nur noch mit dem Ausweis in der Hand da.

Doch noch in der Brandnacht fassten Tabbert und ihre Familie den Beschluss: Wir machen weiter.

Der genaue Entstehungszeitpunkt des Neu-Helgolands konnte nie richtig festgelegt werden. Seine Inhaberin schätzt jedoch, dass das alte und das neue Neu-Helgoland zusammen circa 112 Jahre alte sind. Ursprünglich war Neu-Helgoland ein kleiner Fachwerkbau. Ringsum von Wasser umgeben. Eine Halbinsel.

Seiner besonderen Lage an der Müggelspree, zwischen Großen und Kleinem Müggelsee sowie dem Dämmerritz See verdankt das Restaurant seinen Namen: „Die Fischer und Segler, die vom Müggelsee kamen, haben den Ort hier gesehen und gesagt: ‚Das sieht ja aus, wie Helgoland’“, erzählt Dagmar Tabbert.

Unter der Leitung von Tabberts Großvater, einem passioniertem Jäger, fanden im Neu-Helgoland einst zahlreiche Jagdveranstaltungen statt. So kam das Restaurant schließlich zu seinem Maskottchen, einem Elch(-skopf) namens Jumbo. Denn als ein Jagdkumpane des Opas in den Krieg ziehen musste, gab er die Trophäe in die vertrauensvollen Hände des Gastwirts. Er sollte den Elch bis zum Kriegsende verwahren. Doch es kam, wie es kamen musste: Der Freund kehrte nicht zurück. Seither hat Jumbo seinen Platz über der Theke des Neu-Helgolands.

Das Restaurant befindet sich in Berlin-Müggelheim, einem kleinen Dorf im äußersten Südosten der Hauptstadt. Vom übrigen Stadtgebiet ist der verträumte Ort durch Wald und Wasser getrennt. Wegen seiner großen Erholungsqualität ist Müggelheim schon seit dem 1900 Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel. „Das Schöne bei uns ist die Lage mitten im Naturschutzgebiet“, verrät Tabbert. „Wir arbeiten hier, wo andere Urlaub machen.“ Und dennoch ist die pulsierende Metropole Berlin nicht weit entfernt. Mit der richtigen Anbindung sind es bis Köpenick 20 Minuten.

Die verglasten Wintergärten geben den Blick frei auf den Flussarm vor dem Restaurant. Die Szenerie ist traumhaft. Nicht nur im Sommer, wenn die Flussufer saftig grün sind und Schwäne und Enten sich auf dem Wasser tummeln. Dagmar Tabbert schwärmt von den seltenen Wintertagen, an denen die Müggelspree zugefroren und die Landschaft verschneit ist. Dann zieht unzählige Schlittschuhfahrer nach Neu-Helgoland. Auch für Brautpaare ist das Restaurant ganzjährig ein besonderer Ort. Sie genießen es, so nah am Wasser zu feiern.

Im Sommer zieht Neu-Helgoland vor allem Bootstouristen an. Mit ihrem kleinen Yachten legen sie an der 100 Meter langen Anlegestrecke an.  Auch Fähren und Dampfer machen stündlich direkt vor dem Restaurant Halt. Bei schönem Wetter verbringen die Gäste meist den gesamten Tag auf der Halbinsel. Sie sitzen auf der großzügigen Terrasse des Hauses, lassen ihren Blick über die idyllische Flusslandschaft schweifen und schlemmen nach Herzenslust.

 

Im Neu-Helgoland gibt es gute deutsche Küche. „Unsere Speisekarte bietet eigentlich alles, was die Umgebung saisonal zu bieten hat“, sagt die Inhaberin. Dazu gehören beispielsweise Kohl- oder Rinderrouladen, leckere Salate, Mediterranes für die schlanke Linie sowie Fisch von „A“ wie Aal bis „Z“ wie Zander. „Aber nach wie vor ist das gute alte Eisbein der Renner hier bei uns im Neu-Helgoland“, gibt Dagmar Tabbert zu. Dem Klassiker der regionalen Küche kann nur die Berliner Leber ernsthaft Konkurrenz machen.

Tabbert leitet das Lokal bereits in der vierten Generation. „Meine Kinder, meine Tochter und mein Sohn, sind die fünfte Generation. Und wir haben auch noch drei kleine Jungs – zehn, zwei und ein halbes Jahr – die vielleicht einmal die sechste Generation von Neu-Helgoland sein werden“, hofft die Inhaberin.

Nach dem verheerenden Brand im Jahr 2002 animierten Bekannte die Familie zum Weitermachen. Befreundete Künstler gaben Benefiz-Konzerte. Und auch das Bezirksamt eröffnete alle Möglichkeiten zum Wiederaufbau. Diese Solidarität und dieses Engagement machen Dagmar Tabbert bis heute stolz.

Die Optik des neuen Neu-Helgolands wurde der des alten Fachwerkbaus stark angeglichen. Tabbert erklärt: „Ich habe immer gesagt, wenn wir das noch einmal aufbauen, dann sollen die Leute, die vom Müggelsee kommen, sagen: ‚Oh, die haben aber schön gestrichen!’ Keiner sollte murren: ‚Ach, da steht ja jetzt ein neuer Klopper!’“.

Im Inferno der Flammen ging auch der Glücksbringer des Hauses, Elch Jumbo, verloren. Doch umsichtige Freunde der Inhaberin brachten pünktlich zur Wiedereröffnung einen neuen Elchkopf aus Schweden mit. Als Tabbert kurz darauf einen zweiten Elch erhielt, war das Glück perfekt: „Nun haben wir einen Hugo und einen Jumbo“, sagt sie strahlend, mit Blick in Richtung Theke.

 

Überregional bekannt wurde Neu-Helgoland durch seine zahlreichen Veranstaltungen. Die Hauptstadtpresse taufte es einst sogar das „Mekka des Ostrocks“.

Es war der DDR-Musiker Hansi Biebl, der den Stein ins Rollen brachte. „Der kam hier her und sagte: Weißte, wir könnten doch mal eine Veranstaltung machen“, blickt Gastronomin Tabbert zurück. Darauf hin zog es immer mehr Bands nach Müggelheim.

Während der Wintermonate – von Ende September/Anfang Oktober bis März/April – finden fast wöchentlich Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen statt. Die Besucher kommen nicht nur aus Berlin und Umgebung, sondern aus dem gesamten Gebiet der Neuen Bundesländer.

Die Organisation dieser Events bereitet Dagmar Tabbert viel Freude – nicht zuletzt, weil sie selbst eine große Liebhaberin der Ost-Bands ist. Umso glücklicher macht es sie, dass die Veranstaltungen so guten Anklang finden.

„2010 hatte ich mein ganz großes Highlight“, berichtet die Gastronomin mit leuchtenden Augen, „unsere Kultband, die Puhdys, trat bei uns auf.“ Groß haben sich die Musiker im Gästebuch verewigt: „Jetzt hat es uns auch erwischt!“

Einen Wunschgast hat Dagmar Tabbert noch: „Den Herrn Maffay. Den hätte ich schon mal gerne hier.“ Schmunzelnd fügt sie hinzu: „Das können Sie ruhig reinschreiben. Vielleicht liest er es ja.“ Und vielleicht bringt ihr ja Maskottchen Jumbo wieder einmal Glück.