Der Tango

Aus den Hafenkneipen von Buenos Aires in die Welt

Die Ecken sind dunkel, schon wenn die Dämmerung in die Straßen rund um die südlichen Piers im Hafen von Buenos Aires fällt. Das modrige Wasser des Riachuleo sucht sich seinen Weg in den Rio de La Plata am Hafen von Boca, den südlichen Kaianlagen der Stadt. Da, wo die kleinen flachen Hallen stehen. Prall gefüllt mit Fellen von argentinischen Schafen, die den Einwanderern das große Geld versprechen.

Menschen aus aller Herren Länder treiben sich hier herum. Seeleute, die auf das Ablegen ihrer mit Weizen beladenen Großsegler warten, mischen sich mit  Einwanderern aus Italien, Deutschland, Osteuropa und Spanien. Heruntergekommene Gestalten, die sich ihr Geld in den Hafenbars von Prostituierten aus der Tasche ziehen lassen. Hier in den Bordellen und Cafés versuchen sie ihre Einsamkeit zu vergessen, ihr Heimweh zu überwinden.  In den Jahren um 1880 sind sie hierhin gekommen, um ihr Glück zu machen. In Argentinien, in einem Land, das durch Schafzucht und Getreideanbau unermesslich reich geworden ist.

Bildschirmfoto 2013-12-19 um 15.15.32

Aber den hier von ihren Träumen von einem besseren Leben gestrandeten Immigranten hilft das nicht, der Reichtum kommt bei den Neuankömmlingen nicht an. Sie schuften für Hungerlöhne – und am Abend sitzen sie in den Bars gegenüber den Hallen an der Pier, sie trinken, sie träumen – und sie tanzen mit den Prostituierten.

Musiker mit dem Bandoneon – in das Land mitgebracht von einem deutschen Einwanderer – spielen und singen schwermütige Lieder mit wehmütig schmachtenden Texten.  Die Männer beginnen zu tanzen, ihre Bewegungen sind aggressiv, die der Frauen leidenschaftlich anschmiegsam.  In ihren Bewegungen ist das Verlangen nach körperlicher Nähe spürbar, die ganze Verzweiflung, aus der sie  nur der kurze Tanz erlösen kann.   Der Tango ist geboren.

Das bürgerliche Argentinien lehnt diesen Tanz aus den Hafenkneipen als unfein und gewöhnlich ab. Dennoch findet er bald seinen Weg nach Europa. Seeleute nehmen ihn mit, tanzen ihn in den Hafenkneipen von Marseille, Lissabon und Genua.  Noch ehe das Jahr 1900 beginnt, findet der Tango seinen Weg nach Paris.  Aus dem Tanz der Verzweiflung der Seeleute und Einwanderer wird Kunst.  Und es dauert nicht lange, bis der Tango die Herzen aller Porteños, der Einwohner der argentinischen Hauptstadt, erobert.  Bis heute ist der Tango ein Spiegelbild dieser stolzen, aber durch politische Wirren und wirtschaftliche Katastrophen oft geschundenen argentinischen Seele.

Bildschirmfoto 2013-12-19 um 15.14.33

Der wahre Tango wird bei den Milongas getanzt

Auch im heutigen Buenos Aires ist der Tango allgegenwärtig. An Straßenecken in der Innenstadt, auf Flohmärkten und bei Festen – überall finden sich Frauen und Männer, die die Liebe zum Tango zeigen. Es gibt schaurige Shows für Touristen, die allerdings eher an zweitklassige Broadway Shows erinnern.

Wer den richtigen Tango sehen will, den Tango, der noch heute die Seele des Argentiniers bedeutet, der findet ihn in den Milongas. In den alten Tanzcafés, in die gleichermaßen alte und junge Frauen und Männer gehen, nur um eines zu tun: tanzen. Und das oft bis in den frühen Morgen.

Bildschirmfoto 2013-12-19 um 15.14.12