Eine Flutwelle erfasst Europa, weite Teile Mitteleuropas versinken im Meer, die Nordsee erstreckt sich bis nach Berlin. Nein, hierbei handelt es sich nicht etwa um ein Hollywood-Produktion und einen möglichen Anwärter für die goldene Himbeere. Vielmehr haben 22 renommierte Klimaforscher im Wissenschaftsmagazin „Nature“ durchgerechnet, wie stark sich der ungebremste Ausstoß von Treibhausgasen auf den Meeresspiegel auswirken könnte. Die Ergebnisse sind erschreckend.

Sollte der Ausstoß an Treibhausgasen nicht reduziert werden, erwarte Anrainerstaaten der europäischen Meere ein wahrhaft apokalyptisches Szenario, so die Wissenschaftler. Das unstillbare menschliche Verlangen nach wirtschaftlichem Wachstum setzt immer neue Fabriken, Kraftwerke und Transportmittel unter Verwendung fossiler Brennstoffe voraus. Das Resultat: Eine Abschmelzung erheblicher Teile der Eispanzer und einem damit verbundenen Anstieg des Meerespiegels um zweieinhalb Millimeter pro Jahr. Hierbei handelt es sich sogar um eine zurückhaltende Prognose, aktuell steigen die Pegel etwas schneller. In 10.000 Jahren ergäbe sich demnach ein Hub von 25 Metern.

Die dramatischen Konsequenzen der globalen Erderwärmung für das arktische Eis.

Die  globale Erderwärmung hat dramatische Auswirkungen auf das arktische Eis.

Norddeutschland doppelt bedroht
Für die Bewohner Norddeutschlands sehen die Prognosen der Klimaforscher besonders düster aus. Denn hier steigt nicht nur der Wasserpegel, hinzu kommt, dass das Land sinkt. Eine geologische Folge der Eiszeit: War Skandinavien einst von kilometerhohen Eisschichten bedeckt, hebt sich das von den Eislasten befreite Land dort an. Die Folgen für Norddeutschland kann man sich wie eine Wippe vorstellen. Hebt sich das Land in Skandinavien, senkt es sich im Norden Deutschlands, etwa um knapp einen Millimeter pro Jahr. Gemeinsam mit dem Anstieg des Meeresspiegels hätte das katastrophale Konsequenzen. Das Meer würde das Urstromtal der Elbe füllen, die Nordsee dränge bis nach Köln, Brandenburg und Berlin vor. Hamburg, sowie weite Teile Schleswig-Holsteins und der Niederlande wären für immer verloren.

Fossile Klimakiller
Als Ursache allen Übels machen die Wissenschaftler, wenig überraschend, fossile Brennstoffe aus. Geht man davon aus, dass die Menschheit sämtliche Kohle-, Öl- und Erdgasressourcen verbrennen, so würde sich die bodennahe Luft innerhalb der nächsten 2000 Jahre um knapp 12 Grad erwärmen. Die Folge wäre ein nahezu vollständiges Abtauen des antarktischen Eispanzers, sein Schmelzwasser würde die Weltmeere fluten. Selbst bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad, drohe der Meeresspiegel Jahrtausende lang zu steigen. Weltweit wären hunderte Millionen Menschen betroffen.

Seit 1870 ist der Meeresspiegel um etwa 25 cm gestiegen.

Seit 1870 ist der Meeresspiegel um etwa 25 cm gestiegen.

Wissenschaftler kritisieren kurzfristiges Denken
Der Klimawandel, so die Wissenschaftler, könnte tausende Jahre andauern. Die aktuelle Debatte konzentriere sich demnach zu sehr auf die nähere Zukunft. Denn selbst wenn der Ausstoß der Treibhausgase vollständig unterbunden werden könnte, blieben die gefährlichen Gase noch lange in der Luft. Der Anstieg der Meeresspiegel könnte so zum größten Problem in der Geschichte der Menschheit avancieren. Könnte man sich noch gegen ein paar Meter hohe Fluten wehren, wären bei einem Pegelanstieg von etwa 25 Metern alle menschlichen Technologien wirkungslos.

Apokalyptische Gedankenspielerei?
Andere Forscher sehen die im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichten Prognosen skeptisch. So äußerte sich Heinz Miller vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung gegenüber SPIEGEL Online kritisch: „Die Kollegen sprechen ja selber von einem Prozess, der viele Tausend Jahre dauern würde. Da niemand für so lange Zeiträume seriöse Vorhersagen liefern kann, ist dies nur ein intellektuelles Experiment, ein gedankliches Spiel mit der Endzeit.“ Laut Miller sei es doch äußerst unwahrscheinlich, dass die Menschheit in 400 Jahren noch Öl und Kohle verbrenne. Insofern liefere eine solche Simulation keine real belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern diene eher klimapolitischen Zielen.