Plötzlich geht Jürgen Henke in die Hocke. Zieht eine kleine Schaufel hervor, bohrt sie in den lockeren Boden und entnimmt eine Ladung Sand. Mit den Fingern siebt er diesen dann Krümel für Krümel durch. Wiegt schon zweifelnd den Kopf, doch dann ertastet er doch noch das Objekt seiner Begierde und präsentiert hocherfreut seinen Jagderfolg.

„Was ihr hier seht, ist ein Ameisenlöwe“, erklärt der Ranger der staunenden Gruppe. Ein gefürchteter Kleintierjäger, der gefährliche Trichter in den Sand wühlt und dann geduldig darauf wartet, dass Ameisen und Raupen hineinfallen, um sie sich zu greifen und einzuverleiben. Und kein Witz: „Um diesen Rutschprozess zu befördern, wirft der Ameisenlöwe sogar mit Sandkörnchen nach seinen Opfern – das habe ich selbst schon gesehen“, sagt Henke und tippt vorsichtig an die mörderischen Zangen des Insekts. Wie er dem im Sand versteckten Winzling allerdings auf die Schliche gekommen ist, bleibt sein Geheimnis: „Berufserfahrung“, kommentiert er lakonisch.

Unterwegs auf den Binnendünen von Altwarp am Stettiner Haff, nur einen Katzensprung entfernt und in Sichtweite von Polen. Ein Naturraum und Naturschutzgebiet von besonderer Güte, wie Jürgen Henke nicht müde wird zu betonen. Die bis zu 15 Meter hohen Sandberge nämlich, die – wie der Name verrät – nicht wie üblich direkt am Wasser, sondern ein Stück landeinwärts liegen, sind ein Areal großer Kontraste. Mit extremen Trockenbereichen auf der einen und Feuchtwiesen auf der anderen Seite. Was daran so außergewöhnlich ist? „Hier liegt alles dicht bei dicht“, erklärt Jürgen Henke. „Oben auf der Düne ist es knalltrocken und unten steht Wasser – das macht die Gegend aus, und das macht sie auch so wertvoll.“

Flora und Fauna bedanken sich mit einer großen Anzahl seltener Spezies. Die Binnendünen sind bedeckt von Silbergras, Schaf-Schwingel, Blaugrünem Schillergras, Berg-Haarstrang und Kartäuser-Nelken. Seeseitig vorgelagert dominieren seggen- und binsenreiche Wiesen mit Breitblättrigem Knabenkraut, Kuckucks-Lichtnelke und Stranddreizack, die übergehen in ausgedehnten Schilfröhricht. Südlich und westlich der Dünen schließt sich mit einem Eichen-Niederwald wiederum ein ganz anderer spezifischer Lebensraum an.

Tierisch einzigartig für Mitteleuropa ist die gewaltige Population der vom Aussterben bedrohten Kerbameise. Hier gibt es 18 Brutareale mit 2.500 Nestern – da bekommt Jürgen Henke tatsächlich glänzende Augen. Zahlreiche Käfer-, Spinnen- und über 400 Schmetterlingsarten finden hier ebenso erstklassige Biotope vor wie Seeadler, Neuntöter, Sperbergrasmücken, Bartmeisen, Drosselrohrsänger, Karmingimpel, Kraniche und andere Brutvögel. Und auf dem Riether Werder – einer kleinen Insel im Neuwarper See – spektakelt die größte Lachmöwenkolonie Mecklenburg-Vorpommerns fröhlich und ungestört vor sich hin.

Das Naturschutzgebiet Altwarper Binnendünen, Neuwarper See und Riether Werder ist Teil des Naturparks Stettiner Haff, einem von sieben solcher Schutzräume in Mecklenburg-Vorpommern. Es umfasst 53.000 Hektar im abgeschiedenen Grenzgebiet zu Polen und zieht sich von der Haffküste bis zu den Brohmer Bergen im Süden. Geprägt wird die Landschaft von eiszeitlichen Endmoränen, Buchen- und Mischwäldern, Sandböden und Niedermoorflächen entlang mehrerer Flussläufe. Größere Naturräume sind die Ueckermünder Heide, die Brohmer Berge, der Randowbruch und die Friedländer Große Wiese.

Der Park, in dem sich die Natur weitgehend ungestört entfalten kann, ist folglich ein Paradies für all jene, die auf Entspannung und Ruhe schwören und sich abseits der touristischen Großströme erholen wollen. Erkunden und erleben lässt sich der Naturpark wunderbar zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Pferd und selbstverständlich auch zu Wasser. Bei Touristen besonders beliebt sind zudem der Botanische Garten in Christiansberg, der Tierpark mit Fischotteranlage in Ueckermünde sowie das Mittelalterzentrum und das Ukranenland in Torgelow, ein für Mecklenburg-Vorpommern einzigartiges Freilichtmuseum mit historischen Häusern, historischen Werkstätten und historischen Schiffen aus der Slawenzeit.

Bliebe zum Schluss noch das Haff selbst, und wie könnte man es zünftiger erleben als an Bord eines traditionellen Zeesenbootes. Vom Hafen Mönkebude läuft Käpt´n Alwin Harder täglich mit seiner schmucken „Ghost“ aus zu Törns auf diese ganz spezielle Lagune der Ostsee, die fast doppelt so groß ist wie der Bodensee. Gespeist wird das Stettiner Haff – auch Oderhaff oder Pommersches Haff genannt – von Oder, Uecker, Zarow und Peene sowie zahlreichen Entwässerungsgräben; daher besteht es überwiegend aus Süßwasser. Und mitten hindurch verläuft die deutsch-polnische Grenze.

Die vorgelagerten Inseln Usedom und Wollin trennen das Gewässer fast völlig von der Ostsee, „sie sehen vom Boot aus also immer und überall Land“, erklärt Harder. Das macht es zum idealen Revier für Wassersportler, die sich nicht dem oft rauen Wetter auf dem offenen Meer aussetzen wollen. Das macht es zum Traum für Angler, die im Süßwasser Hechte, Zander, Barsche, Karpfen und Aale in Hülle und Fülle finden.

Und nicht zuletzt fasziniert alle auch hier die weitgehend unberührte Natur. Die breiten Schilfgürtel am Ufer, in denen sich viele Wasservögel wohlfühlen. Der kreisende Seeadler, „der sich gleich seinen Snack holen wird“, wie Harder aus Erfahrung weiß. Die Möwen, die auf den Reusenpfählen der Fischer auf fette Beute lauern. Und die Abendsonne, die sich schlussendlich durch die düstere Wolkenfront bohrt und die Idylle vergoldet – viel friedlicher und schöner kann ein Abend kaum sein.