Verrostet und vergessen: Seit 20 Jahren fristet die „Dr. Ingrid Wengler“ ein trostloses Dasein im Berliner Osthafen. Das 41 Meter lange Fahrgastschiff liegt halb versunken in der Spree. Der einst weiße Lack des Schiffs ist an den meisten Stellen braunem Rost gewichen, Fenster oder Bullaugen sucht man vergeblich. Wie konnte es dazu kommen?
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Foto: Lotse via Wikimedia Commons

Luxuriöse Expeditionen ins Unbekannte
Einst hatte die „Dr. Ingrid Wengler“ durchaus eine rosige Zukunft vor sich. Als nach der Wiedervereinigung die Gewässer im Osten der Stadt wieder für die touristische Schifffahrt zugänglich wurden, war der Berliner Physiker Günther van de Lücht überzeugt:  Das 1959 in Emden vom Stapel gelaufene Frachtschiff, das er bereits 1975 erstanden hatte, würde als luxuriöses Passagierschiff mit Schlafkabinen Touristen aus dem ganzen Land anlocken können. Das Schiff, aufwendig mit Mahagoniholz und Messing umgestaltet, bot hohen Komfort, die nun wieder zugänglichen Wasserstraßen in Mecklenburg und Brandenburg einen besonderen Reiz. Als der Fahrgastbetrieb in Berlin aufgenommen wurde, erfreute sich die „Dr. Ingrid Wengler“ zunächst großer Beliebtheit. Erste Touren führten nach Waren oder zum Schweriner Schloss – Anfang der Neunzigerjahre sind Fahrten in die ehemalige DDR gefragt. So ähnelten die ersten Reisen aus Berlin zu den brandenburgisch-mecklenburgischen Seen zuweilen einer Expedition in unbekanntes Land.

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Die „Dr. Ingrid Wengler“ vor dem Schweriner Schloss. Foto: http://www.dr-ingrid-wengler.de/

Unrühmliches Ende
Doch die marode Infrastruktur der DDR sollte dem jungen Unternehmen einen Strich durch die Rechnung machen. Kaputte Schleusenkammern, Streiks und andere strukturelle Defizite verhinderten entweder die Abfahrt oder zwangen das Schiff zur Umkehr. In der Folge musste van de Lücht die Reisekosten der Passagiere erstatten – das Finanzierungskonzept brach zusammen und die „Dr. Ingrid Wengler“ ging in den Besitz der Bank über. Einige Jahre lag das Schiff nun an der Südspitze der Insel Stralau. Der einstige Eigner lebte mittlerweile an Bord. Doch nach Ansicht des Wasser- und Schifffahrtsamt lag es hier ungenehmigt, das Schiff blockiere eine öffentliche Anlegestelle. 1996 lässt die Behörde die „Dr. Ingrid Wengler“ dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in den Osthafen schleppen. In einiger Entfernung vom Ufer wird es verankert und nicht winterfest gemacht, das Seeventil nicht geschlossen.  Nach dem Zwangsumzug des Schiffs, das keine Strom- und Wasseranschlüsse mehr hatte, stand nun Wasser in den Leitungen, fror und taute wieder auf. Rohre platzten. Der Eigentümer verklagte das Wasser- und Schifffahrtsamt und verlor. Unterdessen richteten ungebetene Besucher Schaden im Inneren und Äußeren des Schiffes an. Die „Dr. Ingrid Wengler“ wurde zum Wrack.

Rostiger Status Quo
20 Jahre ist es nun her, dass das Schiff im Osthafen vor Anker ging. Sympathisanten würden die „Dr. Ingrid Wengler“ gerne heben und eines Tages wieder fahrtüchtig machen. Peter Klose, Initiator des Vorhabens, will sie dafür erstmal an den nahen Steg ziehen und dort vertäuen. Das Problem: Das Wasser- und Schifffahrtsamt verlangt hierfür die Vollmacht des Eigners van de Lücht. Der äußerte sich gegenüber der Berliner Zeitung eindeutig: „Die kriegt das WSA nicht“. Denn er sieht das Amt verantwortlich für den desolaten Zustand des ehemaligen Fahrgastschiffs. Kaum verwunderlich: Die Behörde sieht das ganz anders und schiebt die alleinige Zuständigkeit auf van de Lücht. Durchaus möglich also, dass der Status Quo noch eine Weile aufrecht erhalten wird. Die „Dr. Ingrid Wengler“ müsste dann weiter vor sich hinrosten.

Hoffnung Museumshafen?
Doch am Horizont des Osthafens leuchtet ein Hoffnungsschimmer für das vom Pech verfolgte Fahrgastschiff. Der „Historische Hafen Berlin“ will mit seinen 16 historischen Schiffen von seinem jetzigen Standort an der Fischerinsel in den Teil des Osthafens umziehen, indem die „Dr. Ingrid Wengler“ ihr trostloses Dasein fristet. Momentan existieren also zwei Perspektiven: Entweder das Schiff wird für den Museumshafen geborgen. Oder es bleibt als Wrack einfach liegen. Schließlich gehört es auch zur Geschichte der Schifffahrt, dass manche Schiffe untergehen.